Friday, September 9, 2016

Nieder mit der AKP ★ Solidarität mit Rojava ★ Blockupy III

Mit der Fahne der syrisch-kurdischen Frauenverteidigungseinheiten YPJ
auf dem Weg Richtung Brandenburger Tor
#Blockupy #Kurdistan #Demo Berlin 2 Sept 2016
Photo by XeKola @Xekola

Letzten Freitag startete beim Roten Rathaus am Neptunbrunnen in Berlins Mitte eine größere Demo gegen das AKP-Regime der Türkei unter Präsident Erdoğan. Besonders in der Kritik standen dabei die schmutzigen Deals Deutschlands und der EU mit dem türkischen Terrorregime, welches bekanntlich mit äußerster Brutalität gegen Kurd*innen und Oppositionelle aller Art vorgeht. Darüber hinaus wurde auch erneut Solidarität mit den im nordsyrischen Rojava gegen die von Erdoğan unterstützten IS-Terroristen kämpfenden Kurd*innen und ihre multi-ethnischen Alliierten (die Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG & YPJ und die SDF (Syrian Democratic Forces)) demonstriert, weshalb ich mich dazu entschied, meine YPJ-Fahne, also die Flagge der dortigen Frauenverteidigungseinheiten, mit zur Demo zu nehmen, was im Nachhinein eine gute Idee war, auch wenn diese Fahnenstöcke vor und nach der Demo immer ein bißchen nerven.

Organisiert wurde die Demonstration im Rahmen des #Blockupy-Wochenendes gemeinsam von der Interventionistischen Linken (IL) und den wichtigsten kurdischen Gruppierungen in Deutschland: dem kurdischen Dachverband NAV-DEM (Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland e.V.), dem kurdischen Studierenden-Verband YXK und dem mit der prokurdischen und linken 'Regenbogen'-Partei HDP (Partei der Völker) verbundenen Dachverband HDK (Peoples' Democratic Congress, türkisch: Halkların Demokratik Kongresi) aus der Türkei, der – wie auch die HDP selbst – mit diversen in der Türkei lebenden Minderheiten, linken, grünen, feministischen Gruppen und der LGBTIQ-Community assoziiert ist.

Mobilisiert hatten noch weitaus mehr Gruppen, darunter neben dem breiten Blockupy-Bündnis zum Beispiel die umtriebige North East Antifa (Prenzlauer Berg - Weißensee - Pankow ...), die in letzter Zeit auch in Berlin aktive ÖkoLinX-Antirassistische Liste, aber natürlich auch unser kleiner aber feiner Style! It! Takes! Twitter-Account {@magentanetzwerk}, der mittlerweile mit steigender Tendenz immerhin auch schon über 500 Follower*innen hat. :-)

Angesichts der aufrufenden Gruppen war der (mutmaßlich) 'kurdische' Anteil der Demo – etwa im Vergleich zu der Berliner Demo im Januar – leider eher überschaubar, das 'Blockupy-Spektrum' dominierte den Zug diesmal deutlich, während im Januar die 'deutsche' Linke noch durch weitgehende Abwesenheit geglänzt hatte. Dabei war das freundliche und trotz des ernsten und traurigen Themas manchmal fast fröhliche Miteinander von (vermutlich) kurdisch-türkisch-syrisch-stämmigen, deutschen, europäischen und nicht-europäischen Linken eines der Highlights der Demo, das Lust auf weitere gemeinsame Aktivitäten machte!

Und so zogen bei so gar nicht zum düsteren Thema passenden, strahlendem Sonnenschein ca. 800 - 1000 Menschen in einem sehr farbenfrohen und bunten Zug Richtung Brandenburger Tor, begleitet von Parolen gegen deutsche Rüstungsexporte, für die Refugees und gegen die Festung Europa und natürlich gegen Erdoğan und sein Terrorregime.

"Kein schmutziger Deal mit der Türkei! Menschenrechte, Demokratie und Frieden sind nicht verhandelbar" stand auf dem großen Front-Transparent. Dahinter YPJ- & Kurdistan-Fahnen, Öcalan-Flaggen, rote, 'anarchistische' und 'kommunistische' Fahnen aller Art, bunte Schirme, die lila-farbenen Fahnen der kurdischen Frauengruppen, sogar eine Gruppe von 'Piraten' und überhaupt Menschen aller Altersgruppen waren anwesend... auch wenn ich dennoch viele Leute, Kreise und Gruppierungen vermisst habe...
Photo by Tim Lüddemann @timluedde Berlin 2 Sept. 2016

Hintergründe und Themen der Demo – präsent in Form von Transparenten, Flugblättern und zahlreichen, meist guten und auch akustisch gut zu verstehenden Redebeiträgen – waren:

* die unglaubliche Repressionswelle in der Türkei mit Berufs-, Ein- und Ausreiseverboten, Massenentlassungen und Massenverhaftungen von mittlerweile bald 100.000 politisch missliebigen Personen, Zerschlagung der Presse- und Meinungsfreiheit, Rückkehr der Folter bis hin zu Ermordungen und einem vor der Tür stehenden Verbot der einzigen wirklichen Oppositionspartei, der linken, prokurdischen, multi-ethnischen, feministischen, LGBTQ-freundlichen HDP (Partei der Völker) als letzter 'Stolperstein' auf dem Weg hin zur Errichtung eines islamo-faschistischen Präsidialsystems als Diktatur des Autokraten und Möchtegern-Sultans Erdoğan.

Diese Brutalisierung der ohnehin immer schon schlimmen 'türkischen Verhältnisse' begann übrigens mit voller Wucht im Sommer 2015 und ist entgegen anderslautender Behauptungen keinesfalls Folge des gescheiterten Putschversuches mutmaßlicher Anhänger der 'Gülen-Bewegung' vom 15. Juli 2016, der nur die Steilvorlage für die Erklärung des jetzigen, im Grunde schon die ganze Zeit geltenden 'Ausnahmezustands' war.

* Protest gegen die täglich neuen Gewalteskalationen in der Türkei, insbesondere den ebenfalls seit Sommer 2015 laufenden erneuten Krieg gegen die Kurd*innen mit brutalen Dauer-Ausgangssperren und der Bombardierung und Zerstörung kurdischer Stadtviertel im Südosten der Türkei mit Hunderten von Toten (siehe hierzu meinen Artikel #TurkeysWarOnKurds, der das Ausmaß der Zerstörungen anhand zahlreicher Bilder dokumentiert). Seither wurden ganze Städte – darunter auch die zuvor als UNESCO-Weltkulturerbe eingestufte Altstadt von Diyarbakir (kurdisch: Amed) – von der türkischen Armee und ihren Panzern dem Erdboden gleichgemacht und Zehntausende Kurd*innen vertrieben.

* die brandgefährlichen außenpolitischen Kapriolen des türkischen Präsidenten Erdoğan und anderer Vertreter seiner AKP (vgl. auch meinen Post "Das Lied vom totalen Scheitern von Erdoğans Außenpolitik"), zuletzt etwa sein neues Bündnis mit Putin, die laufenden Maulkörbe für Deutschland (Stichworte: Klagen gegen die Satiriker*innen von extra3 und Jan Böhmermann, das Gezerre und die Drohungen um die Armenien-Resolution des Bundestages, Verhinderung von Abgeordnetenbesuchen der Bundeswehr in der Türkei, ein paar Tage nach der Demo dann die Beschlagnahme des Friedman-Interviews...), die ständigen türkischen Bombardierungen im Irak, der Einmarsch der türkischen Armee und mit ihr verbündeter Dschihadisten in Syrien.

* Solidarität mit Rojava (Nordsyrien), also den von Kurd*innen und ihren Alliierten von den IS-Terroristen (Daesh) befreiten und revolutionär-selbstverwalteten Gebieten, die – nachdem die von der Türkei unterstützten IS-Dschihadisten vertrieben wurden – laufend vom türkischen Militär angegriffen werden.

* die verschiedenen 'Deals' Deutschlands und der EU mit dem türkischen Regime, die dieses überhaupt am Leben erhalten (siehe die beiden nächsten Kapitel)


Ins 'Herz der Bestie'

Es war letztlich doch ein erfreulich langer Zug durch Berlins Mitte
Photo by Denis Bauer Berlin 2 Sept 2016 (via HDK-HDP Berlin)

Da die all diese Themen betreffenden Meldungen jeden Tag neue, traurige Höhepunkte erreichen, war ich regelrecht froh, dass es endlich wieder eine neue, größere Solidaritätsdemonstration in Berlin gab, die die Politik des menschenverachtenden AKP-Regimes in der Türkei und die hanebüchende Zusammenarbeit der Bundesregierung mit diesem entschieden verurteilt.
Der Fokus auf deren schmutzige Deals – wozu nicht nur der 'Flüchtlingsdeal' zwischen der EU und der Türkei gehört, sondern auch deutsche Waffenlieferungen, das auf Wunsch der Türkei auch in Deutschland und der EU geltende Verbot der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) mit der entsprechenden Repression gegen die kurdische Freiheitsbewegung auch in Deutschland, die enge wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit zwischen den Ländern und das mit all dem einhergehende tödliche Schweigen unserer Regierung und auch von staatsnahen Teilen der Medien – war für eine Demo 'im Herzen der Bestie' gut gewählt.

"Beautiful demo in #Berlin in front of the Brandenburger Tor (symbol of German imperialism)
#TwitterKurds #Rojava"
Photo by STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin, text as shared on our Twitter-Account.
2 Sept. 2016


Gegen die Deals mit Erdoğans Terrorstaat

No Deals with the AKP regime - Peace & Freedom for Kurdistan
Banner @ Rojava solidarity rally Berlin 2. 9.
Photo by STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin

Da die immer häufiger ins Absurde kippende "Abhängigkeit" (Politikername dieses Zitats kann selbst ausgefüllt werden) Deutschlands von der Türkei als "Bollwerk für die Abschirmung von Migrant_innen, die vor Krieg, Hunger und in ein besseres Leben fliehen" (aus dem gemeinsamen Aufruf von NAV-DEM / HDK / IL) und das damit einhergehende anhaltende Schweigen zu den täglichen brutalen Menschenrechtsverletzungen und der Kriegspolitik der Türkei vor allem mit dem von der Bundesregierung und der EU unter Federführung von Angela Merkel (CDU), Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Martin Schulz (SPD) eingefädelten 'Flüchtlingsdeal' mit der Türkei begründet wird, macht es Sinn, diesen ins Visier zu nehmen und seiner Grundlage zu berauben. Denn hinter all dem stehen ja letztlich die rassistische Stimmung in Deutschland / Europa und die Wahlerfolge rechter Parteien wie der AfD (siehe hierzu meinen Post "Alle faschistischen Deutschen (AfD)..."), die – zusammen mit den europäischen 'Architekten' des Flüchtlingsdeals und den mit Ausnahme der HDP vollkommen apathischen türkischen 'Oppositionsparteien', der kemalistischen CHP und der nationalistischen MHP – trotz ihres (nicht nur) anti-türkischen Rassismus und ihrer Islamophobie zu Erdoğans wichtigsten Steigbügelhaltern geworden sind.

Über Hintergründe und Details dieses tödlichen Pakts habe ich schon im März ausführlich berichtet (siehe "Merkel & die EU zwischen AfD und AKP"), weshalb ich es hier bei dem Hinweis belassen möchte, dass meine dort vertretende Einschätzung sich seither leider mehr als bewahrheitet hat. Meine These war, dass Gewinner dieses Deals nur die AKP in der Türkei und die AfD in Deutschland sein würden, während die Verlierer*innen die Flüchtlinge, die Kurd*innen und die Opposition in der Türkei (wie auch in Deutschland) sein würden. Und genau so ist es auch gekommen. Selten hat es mich mehr geärgert, Recht behalten zu haben.

Die aktive Mittäterschaft der SPD kann angesichts einer aufgrund der falschen Beweggründe schon lange mehr als fragwürdigen "Merkel muss weg"-Stimmung übrigens nicht oft genug betont werden, bevor sich der vollkommen unverständlich beliebte Außenminister und der Rest seiner Partei wieder als vermeintliche Menschenrechtspartei hinter der Kanzlerin verschanzen, während Parteichef und Vizekanzler Gabriel laufend Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien oder in die Türkei genehmigt...

Zu den wenigen im Bundestag vertretenen Parteipolitiker*innen, von denen immer wieder Kritik geäußert wird, gehören vor allem Vertreter*innen der Grünen (etwa Cem Özdemir) und der Linken (etwa Ulla Jelpke oder Katja Kipping). Dies ist übrigens keine Wahlwerbung, sondern schlicht und einfach eine Feststellung. Auf der Blockupy-Demo spielten Vertreter*innen dieser Parteien gegenüber linken, autonom-undogmatischen oder antirassistischen Gruppen allerdings meinem Eindruck nach übrigens keine größere Rolle, auch wenn einzelne präsent waren.

Wie schon in meinem genannten Artikel vorgeschlagen, kann der "abscheuliche Knoten" aus dem "Ineinandergreifen von innereuropäischem Rassismus, Abschottung der 'EU-Festung Europa' und AKP-Diktatur in der Türkei" nur in 'Handarbeit' aller, "denen Menschenrechte, Demokratie und Selbstbestimmung irgendetwas bedeuten", zerschlagen werden. Dazu zähle ich vor allem "Flüchtlingsunterstützer*innen, Human Rights Aktivist*innen, Antira- und Antifa-Gruppen, die kurdische Bewegung und ihre Unterstützer*innen" (alle Zitate aus "Merkel & die EU zwischen AfD und AKP"), also ziemlich genau die, die bei der Demo auf der Straße waren.

Eine von Aktivist*innen aufgebaute Info-Mauer informierte unter anderem über die tödlichen Folgen des EU-Türkei-Flüchtlingsdeals und der Festung Europa, aber auch die deutsch-türkischen Waffendeals und Wirtschaftsdeals (Photo weiter unten). Auf der Rückseite befand sich übrigens ein überdimensionales Photo eines kurdischen Kindes in einem von der türkischen Armee zerschossenen Stadtviertel im Südosten der Türkei. Solche und andere Gewalttaten des AKP-Regimes unter Erdoğan produzieren mittlerweile auch immer größere Zahlen von (vor allem kurdischen) Binnenflüchtlingen und ganz aus der Türkei fliehenden Menschen.
Die Türkei der AKP ist schon lange kein "sicherer Drittstaat" mehr, sondern selbst ein Fluchtgrund!
Photo by STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin
2 Sept 2016


Solidarität mit Rojava


'Selfie' meiner YPJ-Fahne mit Fernsehturm beim Alexanderplatz im Hintergrund.
Ich fordere ja schon länger, dass Berlin (wie Rom) Partnerstadt von Kobanê
oder einer anderen kurdisch-geprägten Stadt in Rojava werden sollte.
Hat das schon jemand im Programm für die Wahlen am 18. Sept. in Berlin?
Photo by STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin
2 Sept 2016

Während die Nachrichten aus dem nordsyrischen Rojava seit der Befreiung der Stadt Kobanê Ende Januar 2015 (wir berichteten ausführlich) in ihrem Verlauf insgesamt dauerhaft 'positiv' waren, weil es den kurdisch-alliierten Kräften seit Kobanê gelungen ist, immer weitere Teile Nordsyriens von den Schlächtern des dschihadistischen IS-Kalifats (Daesh) zu befreien (siehe auch die Artikel "Mit Pferdeschwänzen gegen Terroristen" und "Der kürzeste Weg nach Tall Abyad"), hat, um es auf den Punkt zu bringen, Erdoğan seither keine Gelegenheit ausgelassen, wieder alles zu vermasseln und die höchst erfreuliche Entwicklung (im wahrsten Sinne des Wortes wie auch im übertragenen Sinne) zu 'torpedieren'. Nach dem hoffnungsfrohen Wahlerfolg der HDP im Juni 2015 griff er zunächst die kurdische Bewegung in der Türkei an, die sich seit jenem Sommer (wie bereits ausgeführt) in rasenden Schritten auf eine Ein-Mann-Diktatur zubewegt hat. Parallel setzte er die brutale Entwicklung im eigenen Land aber auch im Nachbarland Syrien fort, zunächst mit der – der Weltöffentlichkeit wie auch den russischen, deutschen und anderen Nachrichtendiensten bekannten – türkischen Unterstützung der IS-Dschihadisten und anderer islamistischer Gruppierungen, dann mit wiederkehrendem Artillerie-Beschuss der unter großen Opfern von den IS-Barbaren befreiten Regionen über die Grenze hinweg.

Am 24. August 2016, also wenige Tage vor der Demo, ist die türkische Armee unterstützt von der Turkish Air Force und angeblichen 'Rebellen' (unter denen sich abermals zahlreiche islamistische Dschihadisten befinden) nun nach 5 Jahren brutalem Bürgerkrieg auch noch direkt im kriegszerstörten Syrien einmarschiert. Ziel der Operation ist nicht – wie teilweise behauptet – den IS zu zerschlagen, sondern, wen sonst, die äußerst erfolgreichen syrischen Kurd*innen und ihre multi-ethnischen, säkularen und multi-religiösen Verbündeten (darunter syrische Araber*innen, Assyrer*innen, Turkmen*innen, Muslime, Christ*innen, Alevit*innen usw.), die noch kurz zuvor gemeinsam die wichtige Stadt Manbij vom IS befreit hatten.

Mit der türkischen Intervention ist die bisher von den USA unterstützte, seit Kobanê anhaltende erfolgreiche kurdisch-alliierte Offensive gegen den IS (Daesh) vorerst zum Stoppen gebracht worden, während sich von Erdoğan unterstützte Dschihadisten und Islamisten als 'Ersatz' für den am Boden liegenden IS nördlich von Aleppo breit machen können. Erklärtes Ziel der Türkei ist eine vollständige Zurückdrängung der Kurd*innen auf das Ostufer des Euphrat, also eine komplette Aufgabe der mit US-Unterstützung unter lebensgefährlichem Einsatz im Laufe dieses Jahres befreiten Gebiete westlich des Flusses! Unverschämter geht es fast nicht mehr. Und 'die Welt' schweigt mal wieder.

Protest gegen die Menschenverachtung der IS-Dschihadisten
und
Erinnerung an die zentrale Rolle der Stadt Kobanê (Kobanî)
im Kampf um die Befreiung Rojavas
Photo by STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin
2 Sept 2016

Gleichzeitig fährt die Türkei auch östlich des Euphrat fort mit einem – wie zu Befürchten steht ganz im Sinne des EU-Flüchtlingsdeals – Mauerbau (!) entlang der nordsyrisch-türkischen Grenze und auf zu Syrien gehörendem Territorium von Rojava (etwa dringend benötigte landwirtschaftliche Flächen in der Nähe von Kobanê, siehe hierzu auch "Die Rückkehr des zivilen Lebens in Kobanê" sowie die aktuellen Photos unten), denn so ganz ohne imperiale Grenzausdehnung der Türkei macht Erdoğan natürlich nichts. Die protestierenden Einwohner*innen Kobanês, die keine Mauer, sondern dringend einen humanitären Korridor für Hilfslieferungen benötigen, wurden in den letzten Tagen von der Türkei 'wie gewohnt' mit Wasserwerfern, Tränengas und Geschossen attackiert, wobei es neben Dutzenden Verletzten auch Tote gab. Als der IS Kobanê monatelang brutal belagerte, schaute die türkische Armee gelangweilt von der anderen Seite aus zu und die Grenze zur Türkei war sperrangelweit offen für Waffen-, Sprengstoff- & Rekrutentransporte der IS-Terroristen. Jetzt, wo die Dschihadisten vertrieben sind, greift der 'NATO-Partner' und 'strategische Verbündete' der EU die Zivilist*innen an:

Der nächste Mauerbau sponsored by EU: #TerroristTurkey
"Turkey military attacks #Kobane residents protesting the border wall w. tear gas-water cannons this morning #EU #US"
Both photos & English text via @nighttides 2 Sept 16

Der Westen, insbesondere die EU, die NATO und das US-geführte Anti-IS-Bündnis "Operation Inherent Resolve" (OIR), sollten sich langsam mal entscheiden, wen sie in diesem Krieg eigentlich unterstützen, nachdem Tausende ihr Leben für den Kampf auch um unsere Freiheit verloren haben. Unter diesen sind übrigens nicht nur Kurd*innen und andere freiheitsliebende Menschen aus Syrien, sondern auch Freiwillige aus aller Welt, darunter mittlerweile auch schon drei gefallene Internationalist*innen aus Deutschland. Das Trauerspiel der westlichen Türkei- und Syrien-Politik ist wahrlich zum Fremdschämen. Auch dagegen wollte ich mit meiner YPJ-Fahne ein Zeichen der Solidarität mit den tapferen und leidgeprüften Menschen in Rojava setzen, die dort trotz alledem ein "demokratisches, friedliches Miteinander aller Nationalitäten, Religionen und Geschlechter" aufbauen, in einem alternativen Gesellschaftsmodell, dessen "Freiheitsrechte, basisdemokratische Selbstverwaltung und Selbstbestimmung" einzigartig in der kriegsgeplagten Region sind und "den einzigen erfolgversprechenden Lösungsansatz für eine nachhaltige Befriedung des Nahen Ostens" darstellen (Zitate aus dem gemeinsamen Aufruf von NAV-DEM / HDK / IL). Ich bitte in diesem Zusammenhang und mit Blick auf das Photo oben rechts auch um Beachtung der Tatsache, dass in der autonomen Region Rojava Frauen selbst entscheiden können, ob sie zum Beispiel ein Kopftuch tragen und gleichberechtigter Teil der politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und auch militärischen Entscheidungen sind, während wir in der Türkei und teilweise auch in Europa (etwa das reaktionäre Frauenbild der AfD) einen anti-emanzipativen, anti-feministischen Backlash erleben...

Flagge zeigen vor dem Brandenburger Tor:
Die Frauenverteidigungseinheiten YPJ gehören zu den erfolgreichsten Gruppen im Kampf gegen die IS-Dschihadisten. Hier habe ich meine Fahne mal kurz für dieses Photo an eine Mitdemonstrantin ausgeliehen.
Photo by STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin
2 Sept 2016


Die tödlichen Mauern zum Einsturz bringen

Deutsche Waffen, deutsches Geld, morden mit in aller Welt!
... und besonders in der Türkei!
"Well prepared: Activists built a wall @ Rojava Solidarity Rally Berlin informing abt
#Germany's arm trade to #Turkey"
Photo by STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin, English text as shared on our Twitter-Account.
Berlin 2 Sept. 2016

Angesichts der dramatischen Situation in der Türkei und der türkischen Intervention im nordsyrischen Rojava bei gleichzeitigem, mittlerweile offen begründeten Stillschweigen der Bundesregierung und der EU muss Druck auf die Türkei vor allem 'von unten' kommen.

Dazu gehört ein vollständiger Tourismus-Boykott (auch dazu gab es übrigens ein gut gemachtes Flugblatt) und der Verzicht von Waren aus der Türkei, ganz egal ob es sich dabei um Mode / Textilien, Nahrungsmittel oder Dienstleistungen (Stichwort: Turkish Airlines) handelt.
Es geht dabei natürlich um Himmels Willen nicht darum, den sogenannten 'türkischen Gemüsehändler' oder 'Späti' um die Ecke zu boykottieren, denn abgesehen davon, dass es sich bei diesen auch öfters um Kurd*innen oder andere Landsleute handelt, ist normalerweise nur ein kleinerer Teil von deren Waren aus der Türkei. Spanische Oliven oder griechischen Schafskäse zu boykottieren bringt nicht nur nichts, sondern ist auch unfair den meist netten Läden gegenüber und es darf nicht dazu führen, das gewachsene Zusammenleben mit aus der Türkei stammenden Menschen in Europa zu stören. Also Augen auf bei den Beschriftungen (Feigen aus der Türkei gibt es z. B. auch in Supermärkten), denn die Wirtschaft in der Türkei kriselt schon länger, der Tourismus liegt am Boden (wie ich höre, gehen jetzt alle nach Bulgarien & Griechenland ♥), die Investitionen auch und ein weiterer Abschwung könnte den Rückhalt von Erdoğan verringern und die Chancen für ein Einlenken in Bezug auf Friedensverhandlungen mit der kurdischen Bewegung erhöhen, zumal diese Boykott-Kampagnen mittlerweile weltweit laufen.

Boycott #TurkeysWarOnKurds
No holidays in Turkey, no fashion from Turkey, no food from Turkey...!

  
Boycott 'Made In Turkey'
Pic via @KurdisCat (Spain)

Boycott Turkish Airlines
Anti Turkish Airlines Poster
"Proud sponsors of IS Terrorism"
der Kampagne #DontGoTurkey
via @AnilElbistanli


Jenseits dessen lauten die wichtigsten
Forderungen der Stunde
meiner Ansicht nach:

in Richtung Deutschland / EU:

Aufkündigung des Flüchtlingsdeals mit der Türkei
stattdessen mehr Hilfen für Griechenland und bessere Verteilung in der EU

Humanitäre Hilfen für die selbstverwaltete Region Rojava
und die Zehntausenden von Flüchtlingen, die sie aufgenommen hat

Stop jeglicher deutscher Rüstungsexporte in die Türkei

Abzug der Bundeswehr aus der Türkei
(falls die Bundesregierung nicht auf ihren Syrien-Einsatz verzichten will, gibt es übrigens auch Alternativen auf Flughäfen in Griechenland und Malta...)

Weg mit dem PKK-Verbot in Deutschland / EU
(das kann auch mit einer schrittweisen Entkriminalisierung erfolgen, etwa der Abschaffung von 'Propagandadelikten' etc. ähnlich wie in der Schweiz)


in Richtung Türkei:

Abzug der türkischen Armee aus Rojava & Syrien

Schluss mit dem Mauerbau entlang Nordsyriens

Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen in der Türkei

Schluss mit der Kriminalisierung der Opposition


Dem Abbau der Info-Mauer am Ende der Demo müssen weitere Taten folgen, denn
sämtliche tödlichen Mauern der Türkei und der EU müssen eingerissen werden:
die Mauern gegen Demokratie & Menschenrechte in der Türkei,
die türkische Mauer (und die damit zusammenhängende Wirtschaftsblockade) an der Grenze zu Rojava / Syrien und
die tödlichen EU-Außengrenzen der Festung Europa.
Photo by STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin
2 Sept. 2016


Blicke in die Zukunft



Ach wären die echten Mauern nur so einfach zum Einsturz zu bringen wie die bisweilen etwas wacklige Info-Mauer, die ab und an sogar von uns Demonstant*innen 'gestützt' werden musste...
Alle drei Photos von Denis Bauer Berlin 2 Sept 2016 (via HDK-HDP Berlin)

Insgesamt war es eine tolle Demo, für mich aufgrund des mir sehr am Herzen liegenden Themas und besonders der netten Atmosphäre die Beste in Berlin seit langem. Nur die diesmal vergleichsweise schwache kurdische Beteiligung war ein bisschen schade. War der Blockupy-Rahmen für manche abschreckend oder waren schon alle auf dem Weg nach Köln? Dort demonstrierten am nächsten Tag fast 30.000 (vor allem) Kurd*innen auf einer Großdemonstration, auf dem gleichen Gelände auf dem wenige Wochen vorher eine ähnliche große Zahl (vor allem) türkischer AKP-Anhänger und Erdoğan-Fans demonstriert hatte. Anwesend waren dort auch Spitzenvertreter der wichtigsten kurdischen Parteien, Selahattin Demirtaş von der HDP und Salih Muslim von der syrisch-kurdischen PYD (der zu den YPG / YPJ gehörenden Partei). Im Gegensatz zu Nordrhein-Westfalen, wo z. B. auch im Dezember 2015 schon eine bundesweite kurdische Großdemonstration in Düsseldorf mit über 15.000 Besucher*innen stattgefunden hat (bei der Newroz-Demo in Hannover waren es im März immerhin auch über 12.000), tut sich Berlin scheinbar immer noch etwas schwer mit größeren Mobilisierungen zum Thema, auch wenn mir noch nicht ganz klar ist, woran es liegt.

Wenn wir diesbezüglich mehr Druck im 'Zentrum der Macht' ausüben wollen, müssen die kurdische Bewegung, die türkische, syrische, irakische etc. Linke (Stichwort: Flüchtlinge) und die hiesige linke, antifaschistische und antirassistische 'Szene' wohl noch stärker zusammen kommen, denke ich. Für Antifas sollte das Thema 'Türkei auf dem Weg in den Faschismus' doch auch relevant sein, für Antirassist*innen die rassistische Diskriminierung und Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen in der Türkei, für Flüchtlingsgruppen ist der 'Flüchtlingsdeal' ein zentraler Anknüpfungspunkt, für vor islamistischem Terror Geflüchtete (z. B. auch aus dem Iran) der Kampf gegen den IS, für Friedensinitiativen die deutschen Rüstungsexporte, für queer-feministische Gruppen die gewaltsame Niederschlagung emanzipatorischer Kämpfe in der Türkei, für linke Ökolog*innen, Gewerkschaftler*innen, Internationalist*innen, Feminist*innen und Revolutionäre das selbstverwaltete Projekt in Rojava... Soviele Berührungspunkte... und alles hängt eng miteinander zusammen. Es gibt also noch viel zu tun und zu vernetzen. Die Demo war aber ein guter und vielversprechender 'Anfang', der – das möchte ich zum Abschluss noch einmal betonen – überraschenderweise auch sehr viel Spaß gemacht hat.

Danke an die Organisator*innen und alle, die dabei waren!


Straßentänze

Da ich mir sehr viel Mühe gegeben habe, mein Outfit in den 'kurdischen Farben' zu halten, war ich ganz froh, dass ich ein recht beliebtes Photo-Motiv wurde... Weil sich in meinem Kleiderschrank aber partout keine gelben Sachen finden, habe ich mir zu dem roten Blumentop und den (eigentlich zu warmen) grünen Stiefeletten mit einem gelblich-grünen Einkaufsbeutel beholfen... (^.^) Hat anscheinend funktioniert, jedenfalls gab's viel positives Feedback dafür und mehrere nette Photograph*innen, die es festgehalten haben...
Dieses Bild entstand beim Fahne schwenken während mir direkt gegenüber
Demonstrant*innen anfingen auf der Straße zu tanzen. :-)

Beide Photos sind von Denis Bauer und wurden auf der Facebook-Seite der HDK-HDP Berlin veröffentlicht,
wo es ein ganzes Album zur Demo gibt.

Ein Lob an dieser Stelle auch für die tolle, abwechslungsreiche und gut eingesetzte Lauti-Musik, die die bunte Demo gut widerspiegelte, indem neben eher üblicher linker 'Demo-Mucke' zum Beispiel auch traditionelle und zeitgenössische kurdische Musik oder Songs der (wie ich finde manchmal übertrieben kritisierten) in den USA lebenden kurdisch-irakisch-finnischen Latin/Middle East-R&B-Popsängerin Helly Luv (bekannt für Songs wie "Risk It All" (2014) und "Revolution" (2015)) liefen, was als Demo-Soundtrack übrigens verdammt gut kam!
[Eine Vorstellung von Helly Luv mit Photos und dem sehenswerten "Risk It All"-Video befinden sich übrigens am Ende meines Artikels "The Politics of the Future"].

Final 'flag selfies'
by
STYLE! IT! TAKES! Blog Berlin
2 Sept 2016


FUN FACT zum Abschluss:
Da die anderen YPJ-Fahnen während der Demo an Demonstrant*innen verteilt worden waren und am Ende wieder eingesammelt wurden, kamen nacheinander insgesamt sechs (!) verschiedene Leute aus dem Orga-Team zu mir und wollten auch meine Fahne 'einsammeln'.
Die hatte ich aber bei der Demo im Januar von Aktivist*innen gegen eine Soli-Spende
'ehrlich erworben', sie hängt seither bei mir hinter dem Schreibtisch und wohnt also quasi
bei mir zu Hause.
Ich durfte sie dann auch wieder dorthin zurückbringen.
(^.^)

... wobei es gar nicht nach Hause ging, womit wir wieder beim lästigen Herumtragen von Fahnenstangen wären. Aber das hatten wir schon.
;-)

Ende der Demo, Ende des Artikels,
für's Erste erschöpft.

xxx
Eure
Magenta

Es folgt wohl noch ein Teil IV der kleinen 'Blockupy-Serie'.
Bisher erschienen sind:
Nieder mit der AKP ★ Solidarität mit Rojava ★ Blockupy III

... und hier ist auch der letzte Teil:
Grenzenlos. Feministisch. Solidarisch ★ Kampf der AfD! #Blockupy IV

Bei etwaigen Bitten um Entfernung eines Photos,
Anfragen oder Korrekturen:
Kontakt via Twitter-DM
Magenta
Ansonsten an dieser Stelle noch einmal
ganz herzlichen Dank an die Photograph*innen!
Falls jemand Bilder benutzen will,
bitte wie auch hier im Blog üblich
die Quellen und deren Namen nennen.

No comments:

Post a Comment